Elf schwerstbehinderte junge Erwachsene haben drei Tage im Caritas Alten- und Pflegeheim St. Emmeram in Geisenfeld gewohnt. „In einer Katastrophe hilft nur eines: Zusammenhalt“, sagt die Einrichtungsleiterin Tanja Wocheslander. Ihre Gäste leben eigentlich im zwölf Kilometer entfernten Hollerhof in Münchsmünster, einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung. Als am vergangenen Wochenende die Paar über die Ufer trat und die Dämme Manching und Baar-Ebenhausen zu brechen drohten, reagierte der Katastrophenschutz sofort, evakuierte die Einrichtung und brachte die jungen Menschen ins Caritas Pflegeheim.
Dort hatten Tanja Wocheslander und ihr Team bereits alles vorbereitet, Betten bezogen, Kaba gekocht, den Speisesaal gedeckt, Betreuungsmaterial hervorgekramt. „Es war ein unfassbar herzliches Willkommen. Unser Glück im Unglück“, sagt Lisa-Marie Michel, Koordinatorin und Sozialdienst am Hollerhof. Viele ihrer Klientinnen und Klienten hätten kognitiv nicht erfassen können, was passierte. „Aber die Herzlichkeit spürten sie, auf diesen Kanälen sind sie sehr empfänglich.“ 23 Bewohnerinnen hat der Hollerhof aktuell. Die Menschen, die in der Sozialeinrichtung leben, sind geistig und körperlich schwerstbehindert und benötigen eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Die Betreuerinnen und Betreuer kamen ebenfalls ins Caritas Pflegeheim.
„Wir machten möglich, was uns möglich war“, sagt die Einrichtungsleiterin Wocheslander. Das Mögliche war weit mehr als das Nötige: Sie sprach mit Angehörigen, machte Telefonate möglich und stellte ein Gästezimmer auf den Kopf. Ein Klient, „motorisch auffällig“, schläft im Hollerhof in einem sogenannten „Kayserbett“, ein auf seine Bedürfnisse angepasster Schlafplatz mit weichen Schutzwänden. Ein Kaiserbett gibt es in St. Emmeram nicht, doch Wocheslander und ihr Team holten Matratzen und Schaumstoff, sicherten die harten Wände ab – für einen Schlaf im Schutz.
Achtzig Langzeitpflegeplätze hat das Caritas Alten- und Pflegeheim St. Emmeram in Geisenfeld. Wegen des Fachkräftemangels in der Pflege sind derzeit 25 Betten nicht belegt. Deshalb war es möglich, die vom Hochwasser Betroffenen aufzunehmen. „Wir haben keine Sekunde gezögert“, sagt Wocheslander. Noch am Samstagabend, nach dem Anruf des Katastrophenschutzes, informierte sie ihre Mitarbeitenden. „Alle zogen an einem Strang.“
Drei Tage später, am Dienstagnachmittag, konnten die jungen Erwachsenen aus dem Hollerhof wieder zurück in ihr Zuhause ziehen. Der Hollerhof hat das Hochwasser unbeschadet überstanden. Missen möchte den Notaufenthalt im Caritas Pflegeheim dennoch niemand. „Das waren drei Tage, in denen wir alle voneinander lernten“, sagt Wocheslander. Jung von Alt, Menschen mit Einschränkungen von Menschen ohne Einschränkungen.
Denn so unterschiedlich die Klientinnen und Klienten von Tanja Wocheslander und Lisa-Marie Michel auch sind, verbindet die beiden Leiterinnen doch vieles. „Wir machen das fürs Herz. Für die Menschen.“ Wer im Pflegeheim oder im Hollerhof arbeite, lerne worauf es „beim Menschsein“ ankomme. Statussymbole oder gesellschaftliche Anerkennung spielten keinerlei Rolle mehr. „Wir müssen die Menschen sehen wie sie sind“, sagt Michel.
Aus der Begegnung in der Notlage entwickelte sich eine Verbindung mit Zukunft. Im Sommer werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims den Hollerhof besuchen, Alpakas streicheln, Eis schlecken, sich wiedersehen.